Bundesweite Aktionen gegen ‚China-Internet‘

Mit dem Entwurf zum neuen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) geht das Bestreben der deutschen Politik nach umfassender Internetzensur und Totalkontrolle weiter (wir berichteten). Dabei wird der aktuell vorliegende Entwurf als noch wesentlich gefährlicher für freien Meinungsaustausch angesehen als das Zugangserschwerungsgesetz. Am kommenden Mittwoch gelangt der Entwurf in die Rundfunkkommission, parallel dazu veranstaltet die Piratenpartei bundesweite Protestaktionen.

Ein wenig Historie: Im Laufe des letzten Jahres bescherte uns Ursula von der Leyen einen mit Polemik und Halbwahrheiten geführten Wahlkampf und handelte sich damit wohl auf Lebenszeit den Spitznamen „Zensursula“ ein. Virtuelle Stoppschilder sollten den Zugang zu kinderpornografischen Seiten erschweren. Was so klang, als sei es gut gemeint, entpuppte sich sehr schnell als eine Bestrebung, weitreichende Kontroll- und Zensurmechanismen für das Internet einzuführen. Und während noch in der Zeit des Wahlkampfes Bürgerrechtler, Netzaktivisten und sogar Kabarettisten wie Jürgen Pispers die Pläne der großen Koalition bis zu einer Farce demontierten, entlarvte Schäuble höchstselbst nach der Wahl das umstrittene Gesetz als Wahlkampfmanöver.

Die Wahl war vorbei und die FDP sah sich unter Zugzwang, hatte sie sich doch die Verteidigung der Bürgerrechte auf die liberale Flagge geschrieben. Und tatsächlich: Nach der Bundestagswahl wollte plötzlich niemand mehr etwas von dem Gesetz wissen – bis überraschend und vollkommen unverständlich Bundespräsident Köhler das Gesetz unterschrieb. Kritiker vermuten nun ein Manöver, um die Medien von einer noch viel gefährlicheren Bestrebung abzulenken: Dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag. Dieser wurde weitestgehend unter dem Radar vorbereitet, die Presse schwieg. Nun aber schlägt der vorliegende Entwurf ausgerechnet dank vieler Netzaktivisten hohe Wogen. Diese entlarvten das Vorhaben als Bestrebung, weitreichende Kontroll- und Zensurmechanismen für das Internet einzuführen. Ein deutsches Intranet nach chinesischem Vorbild wäre die Folge. Ein Überblick über die Auswirkungen:

Alterskennzeichnung
Der Entwurf verpflichtet alle Websitebetreiber – ob kommerziell oder privat – dazu, Alterskennzeichnungen für ihre Internetangebote nach USK-Vorbild zu setzen. Im Gegensatz zur USK und FSK, die u.A. Medienpädagogen beschäftigen, dürfte der überwiegende Teil der Anbieter jedoch nicht zu einer passenden Einstufung qualifiziert sein. Die offensichtliche Folge: Die größte staatlich legitimierte Abmahnfalle in der Geschichte des deutschen Internets.

Zugangskontrolle und Haftung
Mit Alterskennzeichnungen alleine ist es nicht getan. Anbieter, Hosting-Provider und Zugangsprovider werden mit einer Haftungsregelung gleichgesetzt und sind gleichermaßen verantwortlich dafür, dass Inhalte nur für die jeweiligen Altersgruppen verfügbar sind. Technische Lösungsansätze fehlen im Entwurf gänzlich. Lediglich das im TV verwendete Modell der Sendezeiten findet Erwähnung. Tatsächlich ist diese Regelung schon durch die Dynamik des Web 2.0 nicht umsetzbar. Im Gegensatz zum TV gibt es nicht einen inhaltlich verantwortlichen Sender. Beiträge in Social Communities, Foren und Kommentare in Blogs werden von jedem erdenklichen Internetnutzer beigesteuert. Eine permanente Kontrolle aller Beiträge würde zu einer flächendeckenden Vorabzensur führen, was alleine schon mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist. Alternativ müsste das Internet gemäß JMStV-Entwurf zwischen 6 und 22 Uhr geschlossen werden – eine absurde Vorstellung, dennoch findet sie im Entwurf Erwähnung. Die Haftungsregelung verpflichtet zudem Zugangs- und Hostingprovider zum Aufbau umfangreicher Analyse-, Filter- und Sperrstrukturen. Eine Totalüberwachung des Internets mit einer Regulierung vergleichbar zu China wäre die Folge, von den exorbitanten Kosten für Provider ganz zu schweigen.

Pauschale Sperrung ausländischer Seiten
Das Internet zeichnet sich durch seine Globalität aus. Viele in Deutschland populäre Plattformen sind im Ausland gehostet, viele Unternehmen und Organisationen nutzen das Internet für grenzübergreifende Projekte, z.B. Open Source Softwareentwicklung. Der Entwurf zum JMStV sieht vor, dass ausländische Seiten, welche sich nicht an die deutschen Richtlinien halten, pauschal auf Providerseite geblockt werden. Allenfalls große kommerzielle Plattformen sähen sich dazu in der Lage, der Anteil der nun nicht mehr erreichbaren ausländischen Seiten läge sicherlich über 95%. Eine flächendeckende Zensur, die sogar noch chinesische Verhältnisse übersteigt. Aus dem „Jugendschutz“ wird so eine Bevormundung aller erwachsenen Internetnutzer.

Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt

Offensichtlich ist: Bürgerrechtler sind bereits auf der höchsten Alarmstufe. Der Entwurf würde den freien Meinungsaustausch im Netz nahezu unmöglich machen. Doch wird bei der Debatte eines übersehen: Die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Deutschland ist schon lange im Wandel vom Produktions- zum Dienstleistungsland, maßgeblich sind IT-Unternehmen an dieser Entwicklung beteiligt. Onlineshops, PR- und Werbeagenturen, soziale Netzwerke, Internetdienstanbieter und viele weitere Branchen wären vom neuen JMStV betroffen. Die Folgen sind für jeden Webworker offensichtlich: Kosten in Milliardenhöhe für den Aufbau von Filterstrukturen wären erforderlich, gefolgt von höheren Kosten für Internetzugänge oder betriebsbedingten Kündigungen. Zudem wird der Innovationsmotor der IT-Branche durch internationale Kollaboration am Laufen gehalten. Der Standortvorteil von Deutschland wäre damit auf einen Schlag weg. Auch die Computerspielebranche wäre enorm betroffen, man stelle sich nur einmal Sendezeiten für MMORPGs vor. Die Folgen eines solchen Gesetzes sind weitreichend und könnten bis zu einem vollständigen Kollaps der deutschen IT-Branche führen.

Piratenpartei organisiert bundesweite Proteste

Am kommenden Mittwoch gelangt der Entwurf in die Rundfunkkommission in Mainz. Die Piratenpartei organisiert parallel dazu eine Kundgebung direkt in Mainz. Darüber hinaus sind für Dienstag, den 23. Februar Mahnwachen vor allen 16 Staatskanzleien der Bundesländer geplant. Im besonders betroffenen Düsseldorf – hier befindet sich einer der Branchenschwerpunkte in Deutschland – findet ein Demonstrationszug durch die Innenstadt statt. Informationen zu den Demonstrationen finden sich im Piratenwiki.