Clash of Realities: ‚Killerspiele‘ mal wissenschaftlich betrachtet

Die ,third international games conference‘ unter dem Titel ,Clash of Realities‘ fand vorige Woche direkt im Anschluss an die Next Level Conference ebenfalls in Köln statt. Bei dieser Konferenz stand die wissenschaftliche Betrachtung von Computerspielen im Vordergrund, Schwerpunktthema war der kritische Diskurs um die sogenannten „Killerspiele“.

Es gibt einen Namen, auf dessen Nennung bei allen Coregamern sofort die Warnleuchten angehen: Christian Pfeiffer. Seines Zeichens Leiter des kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen gehört er zu den größten Kritikern von Computerspielen und sieht bis heute in Ego-Shootern einen notwendigen Katalysator für Jugendgewalt oder gar Amokläufe an Schulen. Er prägte maßgeblich den tendenziösen Begriff „Killerspiele“, der für viele aktive Spieler zum Inbegriff von Vorurteilen gegenüber einer ganzen Generation geworden ist.

Kein Wunder also, dass einige Gäste beim Blick auf das Programm der diesjährigen Clash of Realities gleich mit den Augen rollten: „Nicht das Thema schon wieder“, so einer der Kommentare. Fast rechnete man schon damit, dass in pfeifferscher Manier weiter Stimmung gegen Computerspieler gemacht würde. Die Konferenz mit internationalen Gastrednern entpuppte sich dann aber als das genaue Gegenteil: Verschiedene Forscher stellten laufende Studien und Zwischenergebnisse vor, die neben Zusammenhängen von Computerspielen und Gewalt auch Themen wie Sucht, eSport und Medienpädagogik umfassten. Tatsächlich kam keine polemische Debatte wie so häufig in der Politik auf, vielmehr stellte die Veranstaltung den seriösen wissenschaftlichen Anspruch der vorgestellten Studien heraus – wobei im Laufe der Panels geradezu systematisch die Thesen Pfeiffers bis zur Farce demontiert wurden.

Während der gesamten Veranstaltung fanden je 2-3 Panels gleichzeitig statt, so dass Besucher stets nur einen Teil der vorgestellten Themen erfassen konnten. Und während Twitter-User fleißig über #ashtags scherzten, musste die Clash of Realities tatsächlich wegen der Flugsituation einen Ausfall verzeichnen: Prof. Tracy Fullerton vom EA Game Innovation Lab konnte aufgrund von Vulkanasche in der Atmosphäre nicht anreisen und ihren Vortrag über ,experimental gaming‘ halten.

Überwachung in Computerspielen?

Ein ungewöhnliches Thema schnitt Dr. phil. Michael Nagenborg an, der am Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften der Universität Tübingen arbeitet: Sein Vortrag handelte von Überwachung und Sicherheit in Computerspielen. Während das Wort ,Überwachung‘ mittlerweile im öffentlichen Diskurs einen eher negativen Touch hat – sicher auch aufgrund der internationalen Piratenbewegung – analysierte Nagenborg das Thema sehr wertneutral. Anhand einiger Beispiele stellte er heraus, wie Computerspiele Überwachung thematisieren, so z.B. als Hilfsmittel des Spielers wie in den Zwischensequenzen von Modern Warfare: Hier wird ein fiktives, weltumspannendes Überwachungssystem gezeigt, welches sich auf jeden Menschen der Welt fokussieren und alle relevanten Daten abrufen kann. In vielen anderen Spielen hingegen ginge es um die Überwindung von Überwachungsmaßnahmen als Spielziel, so Nagenborg. Ein prominentes Beispiel ist GTA, wo der Spieler Achievements für 100 zerstörte Kameras erhält. Hier nimmt der Widerstand gegen Überwachung sogar ökonomische Formen an: An nicht überwachten Plätzen sammeln sich mehr virtuelle Drogendealer an, folglich sinken die Preise und der Spieler kann in einem anderen Stadtteil teurer weiterverkaufen.
Eine kritischere Betrachtung folgte unter dem Aspekt der Konsumentenüberwachung. So seien Feature-reiche Plattformen wie Xbox Live oder Xfire stets auch U-Boote, die der Marktanalyse dienen. Nagenborg führte weiter aus, wie die Industrie sich darum bemühe, den Computer quasi unsichtbar zu machen, um so die Überwachungstechniken gegenüber dem Endverbraucher nicht allzu präsent werden zu lassen. Als Beispiel führte er Microsofts Project Natal an, welches vollständig auf einen Controller verzichtet und im Endeffekt wie ein Bodyscanner arbeitet. Potentiell problematisch seien solche Technologien stets in vernetzter Nutzung, denn für den User ist es oft nicht transparent, welche Daten an die jeweiligen Unternehmensserver gesendet werden.

Transparenz war auch ein Thema in der anschließenden Diskussion. Es wurde darüber diskutiert, ob das Sammeln von Daten mittels Konsumentenüberwachung nicht wesentlich kritikfreier wäre, stünden alle Daten den Spielern transparent zur Verfügung, wie dies beim  Steam Hardware Survey der Fall ist. Electronic Arts und andere Publisher waren hier erst kürzlich in Kritik geraten, versteckt private Daten ihrer Kunden auszuspähen (wir berichteten).
Kritisch hinterfragt wurde jedoch auch die Haltung der Nutzer selber: So merkte ein Panelteilnehmer an, dass die Gesellschaft sich weniger in eine Überwachungsgesellschaft nach Orwells 1984 bewege, sondern vielmehr in Richtung Aldous Huxleys Vision. So geben viele Menschen freiwillig große Datenmengen von sich preis, wie z.B. durch Geotagging-Applikationen auf Mobiltelefonen oder facebook.

Spielen und Leben in virtuellen Welten

Zurück zum Hauptthema: Häufig wird in den Medien suggeriert, es gebe keine Forschungsergebnisse zum Thema Computerspiele. Dies wurde auf der Clash of Realities gleich mehrfach widerlegt. Den Auftakt machte Thorsten Quandt, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim. Er stellte das EU-geförderte Forschungsprojekt „the social fabric of virtual life“ vor, welches mit seiner fünfjährigen Laufzeit zu den vielversprechendsten Studien in diesem Forschungsfeld zählt.

Quandt widerlegte gleich zu Anfang seines Panels eine der zentralen Annahmen von Pfeiffer: Dieser sah in der Korrelation zwischen dem Konsum von First Person Shootern und Amokläufen eine Kausalität und begründete so Jugendgewalt mit dem Konsum derartiger Computerspiele. Wie Quandt jedoch darlegte, lässt sich aus der Korrelation gar keine Aussage ableiten, da die Diffusionsrate viel zu hoch sei. Gerade bei männlichen Jugendlichen läge diese fast bei der Vollabdeckung; nahezu jeder Jugendliche ist schon in Berührung mit Actiontiteln gekommen.
Viel relevanter sei hier die genaue Betrachtung von exzessiven Nutzern. Bei genauerer Überprüfung zeigte sich hier eher keine Normabweichung. Stattdessen lägen die Hauptfaktoren für Jugendgewalt eher im sozialen Umfeld, der Persönlichkeit des Einzelnen und im Waffenbesitz. Gleichzeitig relativierte Quandt den Nutzungsgrad von Computerspielen. So stellte sich heraus, dass der durchschnittliche Computerspieler täglich weniger Zeit vor dem Bildschirm verbringt als der durchschnittliche TV-Zuschauer.
Vorgestellt wurde auch die Studie „Biographien Extremspieler“, hier kristallisierten sich zwei Persönlichkeitsprofile heraus: Unter den Extremspielern befanden sich beispielsweise Clan-Spieler, die eher extrovertiert veranlagt waren und Gaming als Sport betrieben, gleichzeitig mit Reallife-Treffen und weiteren Hobbies sozial integriert waren. Andere Extremspieler wurden als passiv-zurückgezogen und sozial ängstlich beschrieben.   Als besonders problematische Phasen für exzessive Spieler stellten sich jene Phasen heraus, an denen ein Wegfall sozialer Kontrolle zu verzeichnen war – insbesondere in der Zeit zwischen dem Auszug aus dem Elternhaus und der Gründung einer eigenen Familie. Betroffen seien daher vor allem junge Erwachsene im Alter zwischen 20-30 Jahren.
Zum Ende seines Vortrages kündigte Quandt an, in den kommenden drei Jahren sukzessive weitere Ergebnisse der Studien bekannt zu geben. Klar dürfte aber bereits jetzt sein: Das Forschungsprojekt dürfte für die Bewertung von Zusammenhängen zwischen Computerspielen und der Lebenssituation des Individuums eine tragende Rolle spielen. Bereits jetzt lässt sich aus den vorläufigen Ergebnissen ableiten, dass starker Konsum von Computerspielen alleine noch kein Indikator für Suchtverhalten oder Aggressionen ist.

Dietrich Dörner – Killerspiele und Gewalt

Eine sehr detaillierte und anschauliche Keynote zum Thema trat auch Dietrich Dörner an. Im Bereich theoretische Psychologie an der Universität Bamberg tätig, betreut er das gleiche Forschungsfeld wie Spielekritiker Pfeiffer. Dörner kam jedoch deutlich zu einem sehr gegenteiligen Ergebnis und stellte gar die These auf, „Killerspiele“ seien sogar sehr förderlich, um aktiv Aggressionen abzubauen.
In seinen Ausführungen stellte er vor allem das Motiv der „als-ob-Gewalt“ heraus und nutzte dazu den psychologischen Roman ,Anton Reiser‘ von 1787 um aufzuzeigen, dass die Gewaltmotive in Computerspielen keinesfalls neu sind. In jenem Roman dreht sich die Handlung um einen zutiefst unglücklichen und erfolglosen Lehrling, der in seiner Fantasie aufwändig bemalte Figuren blutigste Schlachten schlagen lässt und somit sein alltägliches Leid in eine fiktive Spielwelt projiziert.
Anhand dieses Beispiels führte Dörner aus, dass jeder Mensch im täglichen Leben negative Impressionen in sich aufnimmt und so Aggressionen auflädt. Diese Aggressionen müssten zwangsläufig wieder entladen werden, wobei die Kanalisierung in virtuelle Handlungen – von ihm als „als-ob-Gewalt“ bezeichnet – eine Möglichkeit dazu darstellte. Dörner präsentierte dazu Erhebungen unter Spielern, welche durch das Spielen von First Person Shootern Frust abbauen und sich dadurch entspannen konnten.
Tatsächlich ist dies keine neue Erkenntnis: Bereits Siegmund Freud griff den antiken Begriff „Katharsis“ auf und beschrieb, wie das Ausleben von Aggressionen (z.B. durch Schlagen auf einen Sandsack) zu einer Reduktion der Aggressionsbereitschaft führt. Die Kanalisierung in sozial verträgliche Formen, ohne dass jemand zu Schaden kommt, ist ebenso lange eine sehr präsente Vorstellung in Asien: Sie trug maßgeblich zum Aufkommen der verschiedenen fernöstlichen Kampfsportarten bei – die ebenso Kampfsport wie auch Philosophie sind.

Dörner kritisierte ferner, dass Erhebungen die Motivation von Spielern allzu häufig ignorierten, denn diese sei essentiell für die psychologische Wirkung eines Computerspiels. So sei gerade bei Online-Spielen wie Counter-Strike die Spielmotivation in der Regel nicht etwa das virtuelle Töten, sondern der sportliche Wetteifer und das soziale Gefüge in Clans bzw. Gilden. Eine Abstumpfung durch Wiederholen von Handlungsabläufen verneinte er daher auch: Den Spielern sei klar, dass sie dort nur auf Pixel schießen, der Stellenwert ist für den Spieler selbst kein anderer, als bei Schach die Dame vom Feld zu räumen.
Dass die Grausamkeit stets nur im Auge des Betrachters liege, führte er mit den Abdrucken von Todesopfern der Geiselnahme von Beslan im Jahr 2004 vor. Bei dieser Geiselnahme starben 331 Menschen – größtenteils minderjährige Schüler. Eine Zeitung zeigte damals die verhüllte Leiche eines Kindes sowie die grausam entstellten Gesichter der getöteten Geiselnehmer. Während letztere Bilder wesentlich drastischer vom Bildmotiv waren, nahm das Bild der Kinderleiche die Leser wesentlich mehr mit – denn ihnen war der Kontext bekannt.

Abschließend ging Dörner der Frage nach, warum in Medien und Politik das Thema Computerspiele und Gewalt häufig so oberflächlich behandelt werde. Er warf den Medien keine bösen Absichten vor, kritisierte aber, dass diese lediglich den vermeindlichen Zeitgeist einfingen, der in ständiger Penetranz von Politikern vermittelt werde. Die notwendige Reflektion fände deswegen nicht statt. Der Politik warf er vor, der menschlichen Eigenschaft zu verfallen, stets nach der einfachsten Erklärung zu suchen, auch wenn diese falsch sei. Politiker seien besonders schnell darin, da es ihr Ansehen steigere. Verbotsforderungen seien jedoch nicht nur sinnlos, sondern auch gefährlich: Zum Einen entfiele damit ein sozial verträglicher Ablasskanal für Aggressionen, zum Anderen lenke die Debatte von den eigentlichen Problemen der Jugendgewalt ab und verhindere so Lösungen.

Neben Dietrich Dörner gingen auch noch weitere Forscher näher auf den medialen Diskurs über „Killerspiele“ und Suchtfaktoren ein. Dazu und zu den Themen „Computerspiele und Bildung“ sowie eSport mehr im zweiten Teil zur Clash of Realities.