Interview mit Sandra Uhling

Liebe Gamercommuntiy, heute stellen wir euch Sandra Uhling, Mitglied des VDVC und neues Mitglied von Pirate Gaming e.V. vor. Sie beschäftigt sich ehrenamtlich mit den Themen „Exergaming“ und „Game Accessibility“.

 

Pirate Gaming:

Hallo Sandra, was können sich unsere Leser unter „Exergaming“ vorstellen?

Sandra Uhling:

Hallo Robert, Exergaming beschreibt die Verbindung von Bewegung mit Computerspielen. Hauptziel ist es dabei, dass Kinder und Jugendliche sich wieder für mehr Bewegung und Sport begeistern können. Dabei soll Exergaming kein Ersatz für Sport sein, sondern ein Weg, der allgemein das Interesse zum traditionellen Sport wieder weckt. Die meisten kennen wahrscheinlich die Wii. Neben solchen Heimgeräten gibt es aber auch zahlreiche größere Geräte, die ab 3000 Euro starten. Dies sind dann unter anderem stabile Fitnessräder, welche mit Konsolen verbunden sind, große interaktive Wände oder Machine Dance Multiplayer (Tanzspiele Anm. d. Red.), bei denen man, anstatt maximal zu viert spielen zu können, sogar mit 32 Spieler gleichzeitig steppen kann.

Pirate Gaming:

Dieser Preis ist ja schockierend. Wo wird denn diese Hard- und Software eingesetzt, wenn sie nicht für einfache Haushalte konzipiert ist?

Sandra Uhling:

Würde ich noch zur Schule gehen, dann hätte ich mich um ein Auslandsjahr in Schweden oder Norwegen bemüht. Dort werden solche Produkte, wie auch in Großbritannien, USA und Kanada im ganz normalen Schulsport eingesetzt. Stell dir einen Schulsport vor, von dem man nie genug kriegen kann (lacht). Es gibt sogar einige Fitnessstudios die sich auf den Einsatz von Exergames spezialisiert haben. Diese werden dann Exergyms genannt. Weitere Einsatzgebiete sind Krankenhäuser, Physiotherapie und Senioreneinrichtungen. Sogar Profisportler wie zum Beispiel Handballer, nutzen Exergames für das professionelle Training. Von Seiten der Gesundheitsfachleute ist das Interesse sehr groß, vor allem von Leuten, die sich mit der Problematik des Übergewichts beschäftigen.

Pirate Gaming:

Also kann man behaupten, dass Exergames ein probates Mittel im Kampf gegen Übergewicht sind?

Sandra Uhling:

Exergames können natürlich sehr motivieren und sind ein Medium das die meisten Kinder und Jugendliche lieben. Es sollte aber keine Alleinlösung sein. Der Medienkonsum sollte gut beobachtet werden und darf insgesamt nicht zu umfangreich werden. Ein gutes Konzept das Exergames mit traditionellem Sport und Ernährung verbindet, kann ich mir sehr gut vorstellen. So wie ich das persönlich einschätze, scheinen die Meisten vergessen zu haben, dass Sport im eigentlichen Sinne viel Spaß bereiten kann.

Pirate Gaming:

Ist es denn nicht auch Aufgabe vom Sportunterricht der Schulen, neue Sportarten vorzustellen und somit auch das Interesse am Sport zu wecken?

Sandra Uhling:

Eigentlich schon, aber unser Schulsport ist leider vollkommen veraltet. Noten und Leistungen stehen oft im Vordergrund, nicht aber das persönliche Interesse der Schüler. Dabei gibt es sehr viele neue Trends, die mit wenig Einsatz umsetzbar sind. Vor allem werden diese von den Kindern und Jugendlichen eher akzeptiert, weil Sie aus der Jugendkultur entstehen. Beispielsweise wären hier unter anderem Pacour oder Stacklining zu nennen.

Pirate Gaming:

Kommen wir zum nächsten Thema. Was versteht man unter dem Begriff „Game Accessibility“?

Sandra Uhling:

Nun, dafür habe ich sogar eine eigene Definition: Game Accessibility bezeichnet im Allgemeinen barrierearme Computer- und Videospiele. Sie sind dann als barrierearm zu bezeichnen, wenn sie von möglichst vielen Spielern in der für sie üblichen Weise, also auch mit Hilfsmitteln, gespielt werden können.

Pirate Gaming:

Du meinst also Spiele, die für eine spezielle Gruppe Spieler, hier also motorisch und kognitiv eingeschränkte Spieler, gedacht sind?

Sandra Uhling:

Nicht ganz. Spezielle Spiele für eine spezielle Gruppe von Spielern ist nur ein Ansatz von Game Accessibility, in dem bereits viel getan wird. Ich beschäftige mich mit einem anderen Ansatz. Bei diesem geht es darum, das Mainstream-Computerspiele, also Computerspiele die man in einem normalen Geschäft kaufen kann, von einer möglichst großen Benutzergruppe gespielt werden können. Viele Spieler sind zum Beispiel visuell, auditiv, motorisch, kognitiv oder sprachlich eingeschränkt. Ihnen fehlt zumeist die Möglichkeit, Spiele der breiten Masse zu spielen. Oft können viele Barrieren schon durch kleine Änderungen des Designs vermieden werden.

Pirate Gaming:

Was denkst du hindert Spieleentwickler daran, sich mehr mit Game Accessibility auseinander zu setzen?

Sandra Uhling:

Ich vermute, dass es dafür mehrere Gründe gibt. Zum einen ist vielen Spieleentwicklern das Thema einfach nicht bekannt oder es fehlt an Informationen was genau sie bei der Produktion beachten sollten. Außerdem wird die durch Game Accessibility erreichte Zielgruppe als zu klein angesehen und ignoriert. Dabei bietet Game Accessibility einen enormen Mehrwert für alle Spieler. Ich persönlich finde es äußerst frustrierend, wenn ich ein Spiel nicht ganz durchspielen kann, weil mir die Zeit für das Training fehlt. Dabei sind Computerspiele ein ideales Medium, bei dem die Spieler sich vieles nach ihren eigenen Bedürfnissen einstellen können. Für die Hardcore Gamer würde sich nichts ändern, für andere kann dies aber eine sehr große Bedeutung haben.

Pirate Gaming:

Barrierefreiheit für das Internet ist weit verbreitet. Warum aber ist dieser gesellschaftliche Fortschritt bei Spielen noch so selten anzutreffen?

Sandra Uhling:

Das Web wird für das soziale und kulturelle Leben als sehr wichtig angesehen. Es gibt hier eine spezielle Gruppe, die sich hauptberuflich mit der Barrierefreiheit beschäftigt. Sie haben Ressourcen, Zeit und Geld um für Webdesigner und Programmierer spezielle Empfehlungen zu entwickeln. Diese Empfehlungen werden international als Standard angesehen. Im Bereich der Computerspiele gibt es mehrere Ansätze für Empfehlungen von denen aber keine ein offizieller Standard ist. Das Informationsmaterial zum Thema Game Accessibility ist dabei überall im Web verteilt und wird zumeist nicht aktuell gehalten. Außerdem sind diese Informationen nicht speziell für Spieleentwickler geschrieben worden. Sie beruhen auf wissenschaftlichen Forschungen und Erkenntnissen und werden auch so verfasst.

Pirate Gaming:

Wie kann dieses Thema denn entwicklerfreundlicher gestaltet werden?

Sandra Uhling:

Es fehlt ein Projekt, welches die bisher gesammelten Informationen so aufbereitet, dass Spieleentwickler das Thema Game Accessibility, ohne großen Aufwand, bei ihrer täglichen Arbeit berücksichtigen können.

Pirate Gaming:

Wie kam es dazu, dass du dich beim VDVC mit diesen Thematiken beschäftigst?

Sandra Uhling:

Ich hatte mich hobbymäßig für Machine Dance eingesetzt und dafür im Alleingang Infostände betrieben, weil die Firmen in diesem Bereich wenig gemacht haben. Die Entwicklungsqualität der Soft- und Hardware war mangelhaft, ihre Verfügbarkeit war miserabel. Man hatte nur die Möglichkeit über Import an diese Sachen zu kommen. Dabei habe ich das Thema Exergaming kennengelernt. Über den Serious Games-Bereich „Games for Health“, der in den USA sehr groß ist, bin ich zum Thema Game Accessibility gekommen. Bei der jährlichen „Games for Health“ Konferenz in Boston, gibt es einen Tag vor der Konferenz, der speziell dem Thema Game Accessibility gewidmet ist.

In Deutschland scheine ich die einzige zu sein, die sich mit dem Thema barrierearme Mainstream-Computer- und Videospiele einsetzt. Deswegen war ich äußerst erfreut darüber, dass der VDVC sich dazu entschied das Thema zu unterstützen.

Pirate Gaming:

Das klingt doch sehr aufschlussreich. In zwei Wochen startet die gamescom, wir hörten du bist auch vor Ort. Wo können dich interessierte User finden um, falls noch Fragen offen liegen, sie dir direkt vor Ort zu stellen?

Sandra Uhling:

Es gab von verschiedenen Gruppen Interesse das Thema auf der gamescom und auf der GDC-Europe zu präsentieren. Leider ist es dabei zu Schwierigkeiten und Missverständnissen gekommen. Zusätzlich gab es einen akuten Mangel am nötigen Budget. Naja, auch ohne Stand kann man natürlich jederzeit Fragen an mich richten, dafür bin ich ja da 😉 Am Mittwoch werde ich wahrscheinlich nur unterwegs anzutreffen sein, am Donnerstag werde ich beim gamescom congress vorbeischauen. Ansonsten könnt ihr mich beim VDVC finden, der vermutlich beim eSport anzutreffen sein wird. Die Community Lounge wurde ja leider abgesagt.

Pirate Gaming:

Vielen Dank für das lehrreiche Interview. Wir hoffen, dass dein bemerkenswerter Einsatz Früchte trägt und du deine persönlichen Ziele in Game Accessibility zum Wohle aller Spieler auch erreichst.

Sandra Uhling:

Auch ich bedanke mich für das Interview. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass möglichst viele Spieler in der Lage sind, die Games zu spielen, die sie auch interessieren und nicht durch unnötige Barrieren daran gehindert werden. Vielleicht entdeckt ja auch der ein oder andere Leser dieses Interviews Audiogames für sich. (www.audiogames.net) Reinhören lohnt sich!