Sinn und Unsinn des Journalismus

Um meinen Finanzhaushalt auszugleichen gehe ich etwa ein bis zweimal pro Woche zur Plasmaspende. Dabei wird das Plasma von den restlichen Bestandteilen meines Blutes getrennt und in einer Box geleitet. Alles was nicht benötigt wird, bekomme ich dann zurück.

Dieser Prozess ist allerdings ziemlich langwierig, da die Zentrifugierung des Blutes mehrere Phasen überdauern muss, damit überhaupt genug Plasma gesammelt werden kann. Allein die Phase der Blutentnahme in die Zentrifuge kann bisweilen 10 bis 15 Minuten dauern, sodass am Ende fast eineinviertel Stunde im Spendesaal verbracht werden muss. Gut, dass dort Zeitschriften vorhanden sind, damit man damit die Zeit totschlagen kann.

Diese Woche waren allerdings alle Zeitschriften mit politisch angereichertem Inhalt vergriffen und ich musste mich zwischen Brigitte, Autobild und dem Stern entscheiden. Kurzerhand griff ich also zum Stern, denn Frauenzeitschriften behagen meinem Teint überhaupt nicht und Autos bringen mich immer nur von A nach B, mehr verlange ich von einem Fahrzeug ja auch nicht. Nach den ersten Paar Seiten Fotos und Leserkommentaren traf ich auf einen Artikel, der vom Amoklauf in Winnenden handelte. Speziell ging es um den Vater des Amokläufers Tim K., der sich aktuell vor Gericht behaupten muss, weil er gegen die strengen Auflagen vom Waffengesetz verstoßen hatte. Tim K. hatte sich zum Zeitpunkt des Amoklaufes Zugang zu einer Waffe seines Vaters verschafft, die er, nicht wie es vom Gesetz vorgeschrieben ist, sie in einem gesicherten Waffenschrank zu verwahren, offen im Schlafzimmer aufbewahrte.

Im Artikel ging es dabei hauptsächlich um die Schuld der Eltern. Was haben sie falsch gemacht? Kannten sie ihr eigenes Kind nicht? Hat es Anzeichen zu einem Amoklauf gegeben und sie haben sie ignoriert? Viele offene Fragen, die von einem Gericht beantwortet werden müssen.

Eine Sache jedoch fiel mir jedoch äußerst arg ins Auge. So arg, dass sogar meine Spendemaschine einen schlechten Durchfluss des Blutes signalisierte. Der Stern stellte, bei einem Rückblick in die Psyche von Tim K., die These in den Raum, dass dieser stundenlang Counterstrike und Far Cry 2 gespielt hätte, seine Opfer am liebsten via Kopschuss tötete. Zusätzlich zu der These dass er damit auch noch seinen Umgang mit Waffen schulte. Auch im Interview mit einem Staatsanwalt nach der Reportage wurden diese Irreführungen noch einmal aufgeworfen, dass Spiele daran schuld gewesen seien.

Ich frage mich wirklich ernsthaft, ob der Stern und auch der Anwalt sich überhaupt einmal in den letzten eineinhalb Jahren mit der Debatte um Killerspiele beschäftigt haben, oder ob sie einfach nur die wilden Thesen des Aktionsbündnis Winnenden kopieren und ‚by the fly‘ als Tatsache titulieren. Leute, habt ihr denn nicht zugehört? Wir haben ausführlich recherchiert, mit Professoren und renommierten Wissenschaftlern diskutiert über diese Thesen und Behauptungen, haben dazu jede einzelne Behauptung in ihre Schranken verwiesen (siehe Artikel). Ein Kontra auf unsere Recherche gab es dabei vom Aktionsbündnis nicht mehr. Was Wunder, haben wir auch unbefangene und ehrliche Wissenschaftler für diesen Artikel hergezogen. Auch die herbeigezogene Behauptung, Tim K. hätte Stundenlang Counterstrike gespielt ist eine Lüge, die Ihresgleichen sucht. Noch heute kann man auf dem Steamprofil vom Tim K. (Link) sehen, dass er, zuletzt am Tag vor dem schrecklichen Amoklauf, insgesamt 0.2 Stunden Counter-Strike: Condition Zero gespielt hatte.

Mitnichten Stundenlanges spielen. Auch das Wissen über seine angebliche Neigung, Gegner mit einem Kopfschuss zu töten ist völlig frei erfunden. In der Spielstatistik ist allein die Waffe „usp“ dazu benutzt worden, einen Spieler am Kopf zu treffen. Dabei gab es insgesamt auch nur zwei tödliche Treffer, von denen einer einem Kopfschuss zuzuordnen war. Aber dem Sternreporter ist diese kurze Statistik aussagekräftig genug um eine allgemeine Aussage über die Neigungen eines offensichtlich gemobbten und psychich erkankten Jungen zu machen, wenngleich dies keine Rechtfertigung für einen Amoklauf ist.

Doch dass der Stern nun wieder die Thesen der Killerspieldebatte als Mitschuld tragen für dem Amoklauf hernimmt, ist für mich persönlich eine ungeheuerliche Farce. Die Wahrheit ist scheißegal, Hauptsache es werden Meinungen geschaffen um den Umsatz des Magazins zu steigern.

Vielleicht plant der Journalist für eine Karriere bei der Bild. Bei den Haaren herziehen kann er schon eine ganze Menge.