Epidemiologie und Spiele

Für den folgenden Beitrag danke ich Sandra Uhling, die mich auf das Thema aufmerksam machte, auch wenn es schon etwas älter ist: Vor knapp 6 Jahren wurde ein, von medizinischen Wissenschaftlern dokumentiertes Experiment in einem bekannten MMORPG durchgeführt. Wahrscheinlich werden sich einige unserer Leser noch daran erinnern.

Jedes Jahr sterben viele Menschen an tödlichen Krankheiten. Der alljährlich auftretende und sich stark verbreitende Grippevirus oder die erst kürzlich kursierte EHEC / HUS Epidemie sind nur einfache Beispiele einer Gefahr für der Menschen und seiner Gesundheit. Dabei gibt es keine Garantien herauszufinden, wann und wo sich eine Pandemie einer Krankheit jeglicher Art abspielen könnte. Noch weniger ist klar, wie die Menschen im Kollektiv und als Individuum auf die Auswirkungen der Krankheit und Gebote der Regierungen und den medizinischen Einrichtungen reagieren können. Mathematische Modelle berechnen nur eine kleine Zahl an Möglichkeiten für individuelle Fälle.

Im Falle EHEC waren viele Menschen verängstigt und besorgt. Die Regale in den Obst- und Gemüseabteilen in den Supermärkten blieben vielerorts unangetastet oder wurden, im Falle von Gurken, Tomaten, Salat und den schlussendlich für schuldig erklärten Keimsprösslingen, gar nicht erst beliefert. Unmut über das Aufklärungsverhalten der medizinischen Institutionen und der Politik waren nur eine Reaktion der Menschen.

Fahren wir zurück ins Jahr 2005. Wissenschaftler der „Fefferman Laboratories“ in New Brunswick, Canada, grübelten darüber, wie sie ihre mathematischen Modelle für die Berechnung von Epidemien detaillierter ausarbeiten könnten, ohne aber in der Realität eine Epidemie auslösen zu können. Vorprogrammierte Simulationen boten dazu nicht den idealen Nährboden um eine möglichst realistische Abschätzung von Faktoren, Variablen und Konstanten zu verwirklichen. Doch wo sollte man anfangen. Man benötigte eine Plattform auf der möglichst viele Menschen in einer simulierten Welt aktiv mit ihrer Umgebung und mit Mitmenschen agierten, ohne dass dabei vorhersehbare Ereignisse stattfinden konnten.

Unbeabsichtigt wurde daraufhin World of Warcraft zu genau diesem Experiment herangezogen. Eine riesige Fülle an Menschen, von denen sich einige durch einen höheren Level von anderen Unterschieden. Blizzard erstellte zur Eröffnung einer neuen Welt, die nur von Spielern betreten werden konnte, die einen bestimmten Level erreicht hatten, ein neues Monster namens „Hakkar“ (ich bin mir nicht sicher, ob es auch in der deutschen Version so genannt wird). Die Eigenart dieses Monsters bestand darin, Spieler, die gegen es kämpften, mit einer fiktiven Krankheit „Corrupted Blood“ zu infizieren. Die Spieler verloren daraufhin kontinuierlich Lebenspunkte. Blizzards Absicht war es dabei, die Spieler eines langsamen Todes dahinraffen und geheilt von der Krankheit neu auferstehen zu lassen. Allerdings gab es einige Spieler, die es trotz akuter Symptome zurück in dicht bevölkerte Städte schafften. Mit diesen Spielern begann das Desaster.

Spieler und ihre Pets konnten sich gegenseitig infizieren, das war von Blizzard auch so beabsichtigt. Nun war es aber auch so, dass Spieler andere Spieler durch Interaktion oder Aufenthalt in nächster Nähe infizieren konnten. Dies geschah genauso mit NPCs, die im Falle von World of Warcraft aber nicht sterben konnten, und somit als Wirt dieser Krankheit dienten. In binnen kürzester Zeit waren ganze Städte mit „Corrupted Blood“ infiziert und rafften die Spieler in ebenso kurzer Zeit dahin, die noch keinen hohen Level erreicht hatten um die Krankheit höchstens als störend zu empfinden. Wenige Tage darauf glichen die Städte einem Schlachtfeld. Alles wirkte verwüstet und die Wege wagen gepflastert mit Skeletten der durch die Krankheit dahingerafften Spieler. Blizzard versuchte der außer Kontrolle geratenen Pandemie entgegenzuwirken, indem es Quarantänemaßnahmen in Erwägung zog, aber einen Einhalt gegen die Krankheit konnte sie nicht bewirken. Blizzard sah sich schlussendlich dazu gezwungen, die Server zu resetten. Die folgende Grafik zeigt dabei deutlich, welche Rückschlüsse die Wissenschaftler auf die Realität ziehen konnten.

Logischer aufbau einer Epidemie

Wie im echten Leben hätte der erste Wirt dieser Krankheit ein Tier in einem Dschungel sein können, der den Erreger auf seine Jäger oder einem einfachen Wanderer übertragen könnte. Diese Menschen hätten die Krankheit bis in eine urbane Zone getragen, wo sie im schlimmsten Fall schon vor ersten Anzeichen von Krankheitssymptomen eine Vielzahl weitere Menschen übertragen worden wäre. Manche Menschen wären, wie die NPCs in WoW, etwaig immun gewesen und hätten gleichzeitig als Wirt dienen und somit unbewusst eine Katastrophe auslösen können.

Wie im wahren Leben waren die Verhaltensmuster der Spieler vorherbestimmt. Viele versuchten sich fügsam an die Regeln von Blizzard zu halten, man spürte vielerorts Nächstenliebe und Zivilcourage unter den Mitspielern. Auch Angst war eine Emotion, wenngleich diese Ängste hauptsächlich damit verbunden waren, im Spiel nicht weiter aufsteigen zu können, weil man vorher von der Krankheit dahingerafft wurde. Es gab Verdächtigungen unter den Spielern, wer infiziert ist und wer nicht und allerseits herrschte Opportunismus, frei nach dem Motto „Auge um Auge – Zahn um Zahn“. Und genau das sorgte auch für Hass und Bosheit, wie er im Falle Typhus im realen Leben für Plünderungen und einen tobenden Mob sorgte, der auch vor Unschuldigen und Schwachen keinen Halt machte.

Diese Ereignisse und deren Ergebnisse waren für die Wissenschaftler immens wichtig um ihre Modelle zu verbessern und zu veranschaulichen, jedoch reicht dieser eine Fall nicht aus um Klarheit zu schaffen. Auf der „Games for Health Conference“ wurde zu genau diesem Thema referiert. Eine Präsentation hatte dabei ein klares Ziel vor Augen. Man muss Spiele nutzen, um aus ihnen Schlussfolgerungen für Fragen auf Probleme der Realität eingehen zu können. Das Beispiel mit der Krankheit ist dabei nur ein wichtiger Faktor, der nicht nur spielerische Nachteile mit sich ziehen muss. So könnten für Versuchszwecke Krankheiten mit nur leichten Symptomen verbreitet werden. Gerüchte unter den Spielern, Krankheitsparameter und Ankündigungen der Spielleitung zum Gesundheitlichen Umgang könnten dann bei Beobachtungen der Spielfiguren Schlussfolgerungen über die Verhaltensweisen von Spielern ergeben. Spieler, die sich erfolgreich von einer Infektion fernhalten, weil sie bestimmte Regeln einhalten, könnten zum Anreiz belohnt werden oder einen bestimmten Status in den Spielen erreichen.

Schlussendlich ist festzuhalten, dass allein aus dieser Geschichte gelernt werden kann. Man soll in den Spielen nicht immer nur das schlechte sehen, sondern das gute, welches man in die Realität mitnehmen kann um die Welt vielleicht auch ein bisschen besser und sicherer zu machen.

Wir versuchen am Thema dranzubleiben und mit den Wissenschaftlern der Fefferman Laboratorien in Kontakt zu treten, ob denn schon weitere Versuche durchgeführt wurden oder ob es neue Erkenntnisse gibt.