Polizeigewalt bei Freiheit statt Angst – Hintergründe

Wie gestern berichtet, kam es während der Abschlusskundgebung der Demonstration „Freiheit statt Angst“ in Berlin gestern zu einer gewalttätigen Ausschreitung seitens einiger Polizeibeamter. Am Sonntag drangen durch die enorme Geschwindigkeit der Informationen im Netz neue Informationen über die Hintergründe zu der Attacke durch, während die Berliner Polizei eine Pressemeldung zur Eskalation herausgab…

 

Polizeigewalt auf der Freiheit statt Angst 2009 :: Video: Chaos Computer Club e.V.

Das obige Video zeigt einen Übergriff auf einen Demonstranten mit Fahrrad und kursiert seit Samstag Abend im Internet. Mit bisher über 30.000 Abrufen und unzähligen Mirrors verbreitet sich ebenso die Empörung über den Polizeieinsatz im Netz. Doch was führte eigentlich zu der Eskalation? Die Berliner Polizei gab ihrerseits eine Pressemeldung am Sonntag heraus in der es heißt:

„Im Zusammenhang mit der Überprüfung des Lautsprecherwagens kam es seitens mehrerer Teilnehmer zu massiven Störungen der polizeilichen Maßnahmen. Trotz wiederholter Aufforderungen, den Ort zu verlassen, störte insbesondere ein 37-Jähriger weiter. Die Beamten erteilten ihm schließlich einen Platzverweis. Nachdem auch dieser wiederholt ausgesprochen worden war und der Mann keine Anstalten machte, dem nachzukommen, nahmen ihn die Polizisten fest. Hierbei griff ein Unbekannter in das Geschehen ein und versuchte, den Festgenommenen zu befreien, was die Beamten mittels einfacher körperlicher Gewalt verhinderten. Der Unbekannte entfernte sich anschließend vom Tatort. Der 37-Jährige erlitt bei seiner Festnahme Verletzungen im Gesicht und kam zur Behandlung in ein Krankenhaus.“

Abweichende Zeugenberichte

Der Darstellung der Pressestelle widersprechen hingegen die Aussagen mehrerer Zeugen sowie die Darstellung im Video: Beim Versuch, dem erwähnten Platzverweis nachzukommen, wird der Radfahrer von einem Beamten zurück gezerrt, woraufhin es zu der Szene kommt, in der mindestens ein Beamter den Radfahrer sowie einen Dritten mit Faustschlägen verletzt.

Verschiedene Blogs von Augenzeugen indes berichten zur Vorgeschichte: Wie in einem Beitrag eines CCC-Mitglieds zu lesen ist, kam es vor der Festnahme zur Verletzung einer weiblichen Demonstrantin durch eine weitere Polizistin, woraufhin diese nach Auskunft über die Personalien der Beamtin verlangte. Adrian Lang berichtet in seinem Blog, wie jene Demonstrantin daraufhin aus einem Interview heraus gezerrt und festgenommen wurde. Auf die Festnahme hin beschwerte sich der Radfahrer im blauen T-Shirt und verlangte ebenfalls nach Personalien der involvierten Beamten, um Strafanzeige zu stellen. Der im Video gezeigte junge Mann, der nach den Faustschlägen im Gesicht blutete, wurde nach dem Vorfall ebenfalls verhaftet, als er sich nach Dienstnummern erkundigte.

Schenkt man den Ausführungen der Augenzeugen Glauben, so verhafteten die Berliner Beamten systematisch jeden, der nach der besagten Kontrolle des Lautsprecherwagens mit Anzeigen gegen die Beamten drohte. Dass dabei unverhältnismäßige Gewalt angewendet wurde, steht dabei jedoch scheinbar außer Frage: Das zuständige Landeskriminalamt leitete bereits ein Strafverfahren wegen Körperverletzung im Amt ein. Darüber hinaus deuten Fotos und Zeugenberichte darauf hin, dass die involvierten Beamten Quarzsandhandschuhe verwendeten. Diese Handschuhe bieten nicht nur Schutz, sondern erhöhen auch maßgeblich die frei werdende Kraft bei Faustschlägen, weshalb sie im Polizeieinsatz verboten sind. Für eine Stellungnahme zu diesem Sachverhalt war die Berliner Pressestelle der Polizei am Sonntag leider nicht zu erreichen.

Übergriff wird zum Politikum

Die Eskalation auf der ansonsten recht friedlichen Großdemonstration ist unterdessen längst zum Politikum geworden: Während Veranstalter, Politiker und Jugendverbände von IG Metall und ver.di das Vorgehen der Beamten verurteilen, sehen sich Gegner von Internetsperren in ihrer Meinung bestätigt. Ein Kommentator auf YouTube schrieb:

Das Video wurde hier innerhalb von 2 Stunden mehrere hundert male gesehen und kommentiert. Es ist redundant auf unzähligen Servern und Heimrechnern. Das ist genau das, wovor die etablierte Politik Angst hat. Skandale wie dieser hier lassen sich nicht mehr verheimlichen oder unterliegen dem Bemessungsgrad des Informationswerts in der Berichterstattung der Medienkonzerne. Es verteilt sich rasend schnell in der Bevölkerung. Klärt alle auf, die die Möglichkeiten des Netzes noch nicht kennen!

Die Eskalation hat auch die Rufe nach einer individuellen Kennzeichnung von Polizisten laut werden lassen, so fordert der Chaos Computer Club bundeseinheitliche Identifikationsnummern für Polizisten. Die Ursachen für derartige Übertretungen sieht der Chefredakteur von gulli.com jedoch vor allem in der psychischen Belastung für die Beamten, welche bei deutlicher Unterzahl jederzeit während einer Demonstration damit rechnen müssten, dass eine Gruppe Demonstranten zu randalieren beginnt:

Der Ruf der Teilnehmer der Demo „Wir sind friedlich, was seid ihr?“ indes trifft den Nagel auf den Kopf. Dürften die Polizisten zurückrufen, so hätten sie wahrscheinlich geschrien:

Verdammt Leute, wir sind einfach total überfordert mit der ganzen Scheiße!

 

Die Jungen Piraten haben als Reaktion auf den Vorfall zu einer Mahnwache gegen unverhältnismäßige Polizeigewalt am Platz der Luftbrücke aufgerufen, am Montag um 18 Uhr. Sie fordern eine lückenlose Aufklärung des Vorfalls.